Wahlkampf ums Wohnen
Heftige Diskussionen, konstruktive Inputs, blumige Versprechen. Vor dem Urnengang im September ist das Thema leistbares Wohnen in aller Munde.

Text: Claudia Aigner
Beim Nationalratswahlkampf 2006 kreiste alles um das Thema Pflege. Ganz Österreich fühlte sich berufen, seinen Senf zu der zweifelsohne bestehenden Problematik zu geben. Sogar die angeblich illegale Betreuung der Schwiegermutter des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel wurde breitgetreten. Der Pflegenotstand wurde offiziell ausgerufen und das Damoklesschwert der Unfinanzierbarkeit ausgepackt. Es schwebt seither weiterhin über dem Land, denn getan hat sich in der Sache wenig.
Nach 2006 und 2008 steht nun voraussichtlich am 29. September 2013 wieder ein Urnengang zum Nationalrat im Kalender der Alpenrepublik an. Das Wahlkampfthema Nummer eins ist längst in Stein gemeißelt: Regierung und Opposition haben ihre Liebe zum leistbaren Wohnen entdeckt. Die Wortmeldungen zu Richtwert, Mietrecht, Neubau, Wohnbauförderung und Co überschlagen sich. Wie anno 2008 wurde auch ein „brisanter“ Bezug zu einem Regierungsmitglied hergestellt. Vizekanzler Michael Spindelegger lebte nämlich von 1988 bis 1999 in einer Gemeindewohnung in der Hinterbrühl. Damit nicht genug. Selbst die obligatorische Arbeitsgruppe existiert bereits.
Von den Koalitionspartnern SPÖ und ÖVP Anfang April eingesetzt, soll sie im Mai Ergebnisse für ein preiswerteres Wohnen liefern, die zum Teil noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden sollen. Unter anderem ist von einer Bauoffensive mit 5.000 bis 10.000 neuen Wohnungen pro Jahr die Rede. Es steigt also die Spannung, was die Arbeitsgruppe präsentieren wird.
Heiße Diskussion um Richtwert
Die Plattform Immobilienwirtschaft verzichtete auf diesen Thrill, indem sie ihre Forderungen an ein modernes Wohnrecht schon am 26. April auf den Tisch legte und dessen Vorteile erläuterte (siehe Kasten). Hinter der neuen Plattform stehen der Fachverband der Immobilien- und Vermögenstreuhänder, der Österreichische Verband der Immobilienwirtschaft (ÖVI), der Österreichische Haus- und Grundbesitzerbund sowie der Verband Institutioneller Investoren. Sie betonen unisono, dass rund 60 Prozent der Bevölkerung in Eigenheimen leben. Dieser hohe Wert fällt bei der aktuellen Diskussion häufig unter den Tisch.
Eigentum soll selbstverständlich weiterhin geschützt und gestärkt werden. Die verbleibenden 40 Prozent der Österreicher teilen sich in 24 Prozent, die in gemeinnützigen beziehungsweise kommunalen Wohnungen leben, und 16 Prozent, die in einer Mietwohnung logieren. Von diesen 16 Prozent wiederum unterliegen neun Prozent dem Richtwertmietzins und sieben Prozent der freien Mietzinsbildung. So weit die Zahlen, an denen nicht zu rütteln ist.
Offensichtlich birgt jedoch gerade der Richtwertmietzins in Vorwahlzeiten wie diesen Zündstoff. Michael Pisecky, Obmann der Fachgruppe der Wiener Immobilien- und Vermögenstreuhänder, relativiert: „In Österreich sind lediglich neun Prozent aller Wohnungen nach dem Richtwert geregelt. Die ständige Kritik der Arbeiterkammer an den Zuschlägen in diesem kleinen Segment löst nicht das Gesamtproblem, dass es insgesamt zu wenige Wohnungen gibt beziehungsweise viele Menschen in Österreich zu günstig wohnen und damit die Miethöhe bei Neuvermietungen in die Höhe getrieben wird.“
Verunsicherte Vermieter
Die Mieterschutzbestimmungen entstanden in Kriegszeiten 1917, um eine Notversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Diese Zwangsbewirtschaftung wirkt bis heute nach, obwohl mit dem Richtwertmietzins 1994 eine wesentliche Marktkomponente eingeführt wurde. Gerade in Wien wird dieser Richtwert künstlich niedrig gehalten. Er liegt in der Bundeshauptstadt mit 5,16 Euro pro Quadratmeter und Monat beispielsweise um mehr als 50 Prozent unter jenem von Vorarlberg – und bildet den Immobilienmarkt der Donaumetropole schlicht nicht mehr ab. Die daraus resultierende Verunsicherung der Vermieter führt zu einem Ansteigen der befristeten Angebote. Restriktive Flächenwidmungen verknappen überdies Wohnungen und Flächen. Pisecky dazu: „Dass ein privater Vermieter, der die Mieteinnahmen versteuern muss, Investitionen aus der eigenen Tasche bezahlen muss und das gesamte Risiko selbst trägt, nicht mit dem Richtwert auskommt, ist logisch. Daher versuchen einige, über die Zuschläge ihre Kosten zu decken. Eine stabile Neuregelung wäre sinnvoll, da man damit auch wieder mehr unbefristete Wohnungsvermietungen schaffen würde.“
Plattform Immobilienwirtschaft
Als Nächstes knöpft sich die Plattform Immobilienwirtschaft die Dauerbaustelle Mietrecht vor, das schon seit langem seiner Modernisierung harrt. Der geltende Gesetzestext gilt als zerfurcht, dirigistisch und ungerecht. Darüber herrscht unter juristischen Experten Einigkeit. Mehr als ein Drittel der aufrechten Mietverträge, die dem Preisregime des Mietrechtsgesetzes unterliegen, sind zudem sogenannte Altmietverträge zu nicht kostendeckenden Mietzinsen. Eine grundlegende Weiterentwicklung vom Mietrecht hin zu einem modernen Wohnrecht muss erfolgen. Dies kann lediglich auf Basis einer umfangreichen Diskussion mit Experten und Interessenvertretern unter Einbeziehung sozialwirtschaftlicher Eckdaten und internationaler Beispiele erfolgen. Der Grundgedanke des neuen Wohnrechts muss lauten: Schutz nur dort, wo er auch tatsächlich notwendig ist. Altmietverträge müssen dabei unter Beachtung erworbener Rechte und familiärer Notwendigkeiten an das heutige Umfeld herangeführt werden. ÖVI-Präsident Udo Weinberger blickt nach vorn: „Die Immobilienwirtschaft wird sich selbstverständlich in einen konstruktiven Dialog einbringen.“ Vor einer Anlassgesetzgebung noch vor den Nationalratswahlen wird ausdrücklich gewarnt.
Je näher der Urnengang Ende September rückt, desto mehr Wortspenden befassen sich mit der – ohnehin allzeit heftig kommentierten – Maklerprovision. Einmal soll sie weiter gekürzt werden, einmal soll sie der Vermieter statt der Mieter berappen. Thomas Malloth, Obmann des Fachverbands der Immobilien- und Vermögenstreuhänder, will einen Schlussstrich unter die Diskussion ziehen: „Die Vermittlungsprovision stellt ein angemessenes Honorar für eine Dienstleistung dar, wie es Dienstleistern zusteht. Immobilienmakler investieren bei der Vermittlung einer Mietwohnung einen Großteil des Aufwands ausschließlich in die Unterstützung und Begleitung des Mieters bei der Wohnungssuche und beim Vertragsabschluss.“ Jeglicher Eingriff in das ohnehin streng limitierte System würde die Immobilienspezialisten und ihre Mitarbeiter wirtschaftlich aushungern und sie zwingen, sich aus dem Mietmarkt zurückzuziehen.
Zweckbindung der Wohnbauförderung gefordert
Vom Mietmarkt zum Neubau, der in Vorwahlzeiten selbstredend ebenfalls ein heißes Eisen ist. In den vergangenen Jahren gingen die Baugenehmigungen beziehungsweise Fertigstellungen zurück. Kein Wunder also, dass für die wachsende Bevölkerung – vor allem in und um Ballungsräume wie Wien – zu wenig Wohnraum zur Verfügung steht. Dieser Engpass treibt die Preise in die Höhe. Nur ein ausreichendes Angebot in jeder Lage und Ausstattung für alle unterschiedlichen Bedürfnisse schafft eine optimale Versorgung zu fairen Kosten. Die Plattform Immobilienwirtschaft fordert daher in puncto Wohnungsneubau folgende Impulse: Nachverdichtungen in Ballungsräumen ermöglichen, Rechtssicherheit für Vermietungen gewährleisten, günstiges Bauen zulassen (Stichworte: Flächenwidmung und Bauordnungen), Rahmenbedingungen für Abbruch und Neubau verbessern, Unterstützung von Jungfamilien bei Eigentumserwerb einführen.
Apropos Jungfamilien: Ihre Situation beziehungsweise jene von Jugendlichen insgesamt rückt verstärkt in den Fokus. Die ersten eigenen vier Wände bilden einen der wichtigsten Schritte in die Unabhängigkeit.
Dieser Schritt gestaltet sich in einem engen finanziellen Korsett, wie man es in jungen Jahren meist tragen muss, extrem schwierig. Dabei leisten die öffentliche Hand sowie gemeinnützige Bauvereinigungen einen wertvollen Beitrag im Bereich des sozialen Wohnbaus und in der Grundversorgung mit Wohnungen. Darauf, dass dieses Angebot verstärkt jungen Menschen zugutekommt, pocht die Plattform Immobilienwirtschaft. Sie fordert vor diesem Hintergrund darüber hinaus eine bedarfsgerechte Zweckbindung der Wohnbauförderung. Der Wiener Fachgruppenobmann Michael Pisecky hält dazu fest: „Die gemeinnützigen und die privaten Bauträger arbeiten auf dem heimischen Markt professionell nebeneinander. So jedoch die Zweckbindung der Wohnbauförderung in Kraft tritt, müssen auch die privaten bei Auftragsvergaben im sozialen Wohnbau zum Zug kommen können.“
Eigentum zukunftstauglich machen
Zurück zu den eingangs erwähnten rund 60 Prozent der Österreicher, die in den eigenen vier Wänden leben, beziehungsweise hin zu jenen, die eine oder mehrere Immobilien besitzen. Gerade in der aktuellen unsicheren Wirtschaftslage ist nach dem Motto „Grundbuch statt Sprachbuch“ die Veranlagung in Immobilien in Form einer Eigentumswohnung besonders nachgefragt. Die rechtlichen Regelungen im Wohnungseigentumsrecht bieten aber häufig zu wenig Sicherheit und Handlungsspielraum für eine zeitgemäße, aktive Bewirtschaftung und Betreuung der Immobilie.
Auch hier legt die Plattform Immobilienwirtschaft ihre Forderungen offen: ein gesetzlich ausformuliertes Weisungsrecht der einfachen Mehrheit, eine Beschlussfassung nur noch bei Angelegenheiten der außerordentlichen Verwaltung sowie Regeln für die Bestellung und Beendigung des Verwaltervertrags. Noch knapp fünf Monate gehen bis zur Nationalratswahl ins Land. Genug Zeit für weitere heftige Diskussionen, konstruktive Inputs und blumige Versprechungen zum neuen Lieblingsthema Nummer eins, dem leistbaren Wohnen.
Es gilt: Der Zweck heiligt die Mittel. Dabei sollten alle Beteiligten aber nicht vergessen: Auch der Bau und die Sanierung von zeitgemäßen Wohneinheiten muss letztendlich leistbar sein.