Nachhaltigkeit

Uralter Baustoff mit neuen Chancen

Hansjörg Preims
07.08.2025

Lehm hat das Potenzial, eine tragende Säule nachhaltigen Bauens zu werden – vor allem in Kombination mit modernen Werkstoffen und Systemlösungen.

Der Bausektor steht an einem Wendepunkt: Die Notwendigkeit, klimaschädliche Emissionen zu reduzieren, Ressourcen zu schonen und gesunde, langlebige Gebäude zu errichten, fordert neuartige Schritte. „Neue Wege und alte Materialien“, sagt Christian Schuh, Leiter Category Management bei Wienerberger Österreich. So werde Lehm, einer der ältesten Baustoffe der Menschheit, neu bewertet und gelte aktuell als einer der spannendsten Materialien der Zukunft. Welche realistischen Möglichkeiten eröffnen sich? „Lehm bietet eine Vielzahl an Vorteilen, die auf unsere aktuellen Nöte einwirken: Er weist eine gute Verfügbarkeit auf, ist vollständig recycelbar und verfügt über hervorragende bauphysikalische Eigenschaften. Er reguliert Feuchtigkeit, speichert Wärme, ist nicht brennbar, in der Regel emissionsfrei und wirkt positiv auf das Raumklima“, erklärt er. All das mache ihn aus baubiologischer und ökologischer Sicht hochinteressant – besonders im Kontext nachhaltiger Gebäudekonzepte.

Bei Wienerberger ist Lehm der zentrale Rohstoff bei der Produktion von Ziegeln. Die Bauweise mit Lehmsteinen in dieser gebrannten Form bewährte sich über Jahrtausende. Wer allerdings von Lehmbau spricht, assoziiert diesen in der Regel nicht mit Ziegeln, sondern mit Wänden aus Stampflehm, mit ungebrannten Lehmsteinen oder auch Lehmbauplatten. „Gerade im geschützten Innenbereich sehe ich für Lehmsteine und -bauplatten Vorteile“, so Schuh, „die raumklimatischen Vorteile sind nicht wegzudiskutieren.“ Die Fähigkeit des Lehms, Wasser aufzunehmen, helfe auch bei den immer notwendiger erscheinenden Kühlungssystemen. Das dabei auftretende Kondenswasser stecke Lehm besser als kommerziell etablierte Baustoffe aus Gips weg. Zudem sei die Zukunft von Gips alles andere als rosig. In diesem Umfeld, so Schuh, könnten Lehmbauplatten, wenn sie die Bedürfnisse des Verarbeiters erfüllen, ein rasches Wachstum starten.

Hervorragende ökologische Bilanz

Lehmestriche, -putze, -farben – alles bereits da gewesen und teilweise wiederentdeckt. Doch wie sieht es mit den Möglichkeiten von Lehm aus, bestehende konventionelle Baustoffe zu ersetzen? Hier, so Schuh, müsse man sich seiner Meinung nach die berechtigte Frage stellen, warum Lehm aus diesen Bereichen verdrängt wurde. Die Antworten lägen in längeren Verarbeitungs- und Trockenzeiten, mangelndem Wissen um die geeignete Verarbeitung und ein auch abseits der Zeitschiene mangelndes Leistungsspektrum der Produkte. Die Gründe hierfür würden am Beginn der Lieferkette starten. Als er, Schuh, vor etwa 15 Jahren als Produktmanager eine „Tonspachtel“ entwickelte, sei er bereits damals von den klimatischen Vorteilen von Lehm sowie der regionalen Verfügbarkeit überzeugt gewesen. Und das Problem sei wohl dasselbe wie heute: „Es gibt zu wenige Rohstofflieferanten, die eine gleichbleibende Qualität liefern können, und noch zu wenig Druck oder Anreiz für Baustoffproduzenten, ihre konventionellen Materialien wie Putze, Estriche etc. zu modifizieren. Bleiben nur auf ökologische Baustoffe spezialisierte Hersteller, denen aber meist das Know-how für die Produktformulierung sowie gängige Verarbeitung am Markt fehlt.“

Eine „Brückentechnologie“, um zu helfen, Lehm schneller und in großer Menge massentauglich zu machen und damit die Marktdurchdringung deutlich zu beschleunigen, könnten für Schuh – „wenngleich vielleicht nicht dem idealistischen Zielbild entsprechend“ – Hybrid-Formulierungen mit konventionellen Bindemittelsystemen (zum Beispiel Lehm/Zement; Lehm/Gips) darstellen.“ Jedenfalls habe Lehm „das Potenzial, eine tragende Säule nachhaltigen Bauens zu werden; vor allem in Kombination mit modernen Werkstoffen und Systemlösungen. Seine ökologische Bilanz ist hervorragend, seine bauphysikalischen Eigenschaften sind überzeugend, und die Vielfalt der Anwendungen wächst stetig.“

Mann in rötlicher Jacke
Toni Auer, Leiter der Lehmbaukurse von „Lehmwerk Waldviertel“: „Lehm ist feuchtigkeitsregulierend, schadstoffbindend, nicht Allergie auslösend, schirmt elektromagnetische Strahlung ab, ist pH-neutral, ist giftfreier Holzschutz (konserviert pflanzliche Stoffe), hat ein sehr gutes Wärmerückstrahlverhalten, ist zu hundert Prozent recyclingfähig und lange haltbar.“
Credit: lightaspect.net

Feuchtigkeitsregulierend und schadstoffbindend

Was Toni Auer, erfahrener Handwerker und Leiter der Lehmbaukurse von „Lehmwerk Waldviertel“, nur bestätigen kann. Er kennt Lehm in allen Anwendungs- und Gestaltungsvarianten: Lehmschüttungen für Fußbodenaufbau, Lehm für Stampflehmmauerwerk und Stampflehmböden, Lehmziegel zum Bauen von Häuser, gegen aufsteigende Edelgase, Feuchtigkeitsabdichtungen im Außenbereich, Abdichtlehme generell für Brunnenfassungen und Teiche, Aushubmaterial, das für Zwischendecken verwendet wird, als Füllstoff in Zwischenwänden, Lehm als hervorragender Schallschutz, als Wärmespeicher und Feuchtigkeitsspeicher bis hin zum Brotbackofen und zur Heilerde. In Mitteleuropa am meisten angewendet wird der Lehmputz. „Lehm ist feuchtigkeitsregulierend, schadstoffbindend, nicht Allergie auslösend, schirmt elektromagnetische Strahlung ab, ist pH-neutral, giftfreier Holzschutz (konserviert pflanzliche Stoffe), hat ein sehr gutes Wärmerückstrahlverhalten, ist zu hundert Prozent recyclingfähig, lange haltbar, geringer Energieeinsatz“, führt Auer weiter aus.

Als natürlicher, feuchteausgleichender, temperaturausgleichender und geruchsabsorbierender Verputz ist Lehm laut Herbert Gruber, Chairman asbn – austrian strawbale network, „bereits in der Zukunft angekommen.“ Vor allem urbane Baufamilien, Architekten und Firmen schätzten diese einmaligen Qualitäten, die kaum ein anderer Baustoff aufweise: Aufgrund der Hydrophilie des Lehms (zieht Feuchte an) halte er benachbarte organische Bauteile trocken. „Ein angenehmer Nebeneffekt ist, dass bei der Verdunstung ein Kühleffekt entsteht, der stark gegen sommerliche Überhitzung wirkt. Und für Architekten und Bauphysiker ist seine Eigenschaft als natürliche Dampfbremse unvergleichlich. Das ist ein großes Plus bei Renovierungen, garantiert aber auch im Neubau eine sichere, langlebige Konstruktion“, erklärt Gruber, der abschließt: „Lehm ist Vielfalt“.

 

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