Je nach Zumutbarkeit

12.01.2016

 
Andreas Vonkilch, Zivilrechtsexperte an der Universität Innsbruck, zum Behinderten­gleich­stellungs­gesetz.

Mit dem Auslaufen der im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) festgeschriebenen Übergangsbestimmungen wird ab 1. Jänner 2016 die Barrierefreiheit auch bei Bestandsimmobilien schlagend. Auch der Bund hat sich mit diesem Gesetz verpflichtet, „die geeigneten und konkret erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Menschen mit Behinderungen den Zugang zu seinen Leistungen und Angeboten zu ermöglichen“, allerdings für sich gesondert so geregelt, dass er die Beseitigung von entsprechenden baulichen Barrieren über einen „Teiletappenplan“ bis zum 31. Dezember 2019 strecken kann. Eine Sonderregelung, welche die Wirtschaft ärgert, sie sieht darin eine „Ungleichbehandlung von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen“.

Herr Vonkilch, ist dieser Vorwurf der „Ungleichbehandlung“ vonseiten der Wirtschaft berechtigt?
Dass es diese unterschiedliche „Behandlung“ gibt – das ist nun einmal so. Die öffentliche Hand hat sich hier quasi für sich selbst eigene Regeln geschaffen. Ich meine aber, dass das bis zu einem gewissen Grad auch sachlich erklärbar ist, nämlich damit, dass die öffentliche Hand so viele Immobilien im Portfolio hat, dass die Beseitigung von Barrieren in ihren Einrichtungen nur in dieser zeitlichen Staffelung zu schaffen ist. Wobei ich allerdings nicht beurteilen kann, ob es auch das eine oder andere Unternehmen gibt, das so viele Immobilien hat, dass eine stufenweise Adaptierung wie die der öffentlichen Hand gleichermaßen gerechtfertigt wäre.

Inwieweit fällt die Vermietung von Wohnraum in den Anwendungsbereich des BGStG?
Grundsätzlich ist ab 1. 1. 2016 bei allen Gebäuden, auch bei Altgebäuden wie etwa einem Zinshaus, eine sogenannte „mittelbare Diskriminierung“ von körperlich behinderten Menschen insofern verboten, als bauliche Barrieren den Zugang zu Waren und Dienstleistungen für Behinderte nicht mehr erschweren dürfen. Wobei „mittelbare Diskriminierungen“ alle Barrieren sind, die sich für behinderte Menschen als solche darstellen. Auch wenn jemand eine am Markt angebotene Wohnung anmieten möchte, muss diese grundsätzlich barrierefrei zugänglich sein. Hier gibt es aber eine Sonderregelung im Gesetz, wonach der behinderte Mietinteressent den Nachweis erbringen muss, dass er konkret auf die Wohnung, die er anmieten möchte, angewiesen ist. Gibt es Ausweichmöglichkeiten, kann der behinderte Mietinteressent angehalten werden, sich in ein anderes Objekt, das Barrierefreiheit aufweist, einzumieten. Es soll also nicht per Gesetz erzwungen werden, dass alle Wohnungen in Österreich barrierefrei sind bei einer doch begrenzten Zahl von körperlich behinderten Menschen – daher für Wohnungen diese Sonderregelung.

Und wie sieht es im Bereich der Vermietung von ­Geschäftsraum hinsichtlich BGStG aus?
Das Behindertengleichstellungsgesetz verpflichtet natürlich auch alle gewerblichen Mieter – wie etwa Handelsunternehmen – dazu, ihre Dienstleistungen in barrierefreien Geschäftsräumen anzubieten. Wobei es hierzu einen Katalog gibt, wann eine Barriere von der Rechtswidrigkeit ausgenommen ist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Barriere aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht beseitigt werden kann oder wenn das Beseitigen der Barriere mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre. Aber das sind, wie gesagt, nur Ausnahmen. Grundsätzlich gilt, wie gesagt, dass ab 1. 1. 2016 nichts mehr mit Barrieren belastet im Rechtsverkehr für Waren und Dienstleistungen angeboten werden darf. Wobei sich im nächsten Schritt dann auch die Frage stellen kann, ob die mit der Beseitigung der Barriere verbundenen finanziellen Belastungen den Mieter treffen oder ob er den Vermieter in die Pflicht nehmen kann, wenn er Geschäftsräume mit Barrieren angemietet hat und wo die Ausnahmen nicht greifen. Das ist etwas, wo es nach meiner Einschätzung keine Patentlösung gibt. Da wird man sich wirklich in jedem Einzelfall anschauen müssen, wie der Mietvertrag konkret gestaltet ist.

Ist „Barrierefreiheit“ im Gesetz im Sinne größtmög­licher Rechtssicherheit für alle Beteiligten klar genug ­definiert?
Ich sehe hier keine Interpretationsprobleme. Jedenfalls ist in diesem Zusammenhang noch kein Fall an mich herangetragen worden, wo es einen Zweifel gegeben hätte, ob etwas eine Barriere ist oder nicht. Die Frage ist dann nur, ob die Barriere ausnahmsweise doch bestehen bleiben kann, weil die Beseitigung unzumutbar wäre, oder wer die Kosten tragen muss.