Geplante Hoffnung

28.07.2014

Es wird ernst mit der Entwicklung des Stadtteils Reininghaus im Westen von Graz. Mitte nächsten Jahres soll mit dem Bau der ersten zwei Quartiere ­begonnen werden. Die ­Abfolge der weiteren Bebauung wird primär von den jeweiligen ­bauträgerspezifischen Interessen bestimmt.

Die Reininghaus-Gründe sind die größte Grazer Baulandreserve. Hier sollen in zehn bis zwölf Jahren tausende Wohnungen und Arbeitsplätze entstehen.

Bürgermeister Siegfried Nagl hätte die Reininghaus-Gründe gern ins Eigentum der Stadt übernommen – um 75 Millionen Euro. Sonst werde alles zugebaut und man müsse im Nachhinein die Infrastruktur und einen Ortskern schaffen, war er der Ansicht. Doch als man dann, im Frühsommer 2012, die Grazer Bürger befragte, sprach sich eine deutliche Mehrheit gegen den Ankauf dieser Baulandreserve im Westen von Graz aus. Der Rahmenplan für deren zukünftige Entwicklung stand zu diesem Zeitpunkt freilich schon längst fest, ausgearbeitet nach dem Motto: nur die notwendigsten Vorgaben, um den Umsetzern der einzelnen Projekte möglichst viele Freiräume dafür zu lassen, auf die Bedürfnisse, die ein Stadtteil für die Zukunft erfüllen sollte, zu reagieren. Festgelegt sind in diesem Rahmenplan die Bauflächen, Grünbereiche, Infrastrukturachsen und öffentliche Räume, wodurch das Areal in Quartiere gegliedert wird, die jeweils als Einheit zu entwickeln sind. Im Endausbau soll der neue Stadtteil Graz-Reininghaus, so das Wunschziel der Stadtregierung, hochwertigen Wohnraum für bis zu 15.000 Menschen, 5.000 Arbeitsplätze sowie innovative Energie-, Verkehrs- und Freizeitmöglichkeiten bereit­stellen.

Wohnen, leben und arbeiten
Der Anfang dieser Entwicklung ist seit kurzem gemacht: Ende Mai präsentierten die Stadt Graz und die Grazer Erber-Gruppe, die drei der zu entwickelnden Quartiere (Q1, Q4a, Q5) erworben hatte, das Projekt für die Gestaltung der ersten beiden Einheiten (Q1 und Q4a): ein Entwurf des Grazer Architekten Thomas Pucher, das aus einem städtebaulichen Wettbewerb als Siegerprojekt hervorgegangen war. Der Baubeginn auf diesem Teilstück, dem alten Kern von Graz-Reininghaus mit zum Teil denkmalgeschütztem Bestand, ist für Mitte nächsten Jahres vorgesehen. Wolfgang Erber, CEO der Erber-Gruppe: „Reininghaus soll ausreichend Raum für Wohnen, Leben und Arbeiten bieten. Deswegen werden wir auch in die Höhe statt in die Breite bauen, denn nur so kann genügend Platz für Grünraum und Naherholung bleiben.“ 
Auf den Quartieren der Erber-Gruppe sollen rund 670 Mietwohnungen entstehen und bis zu 1.800 Menschen ihren Lebensmittelpunkt finden. Daher seien im Sinne der urbanen Entwicklung auch Gebäude mit Büro-, Handels-, Studien- und Freizeitnutzung geplant, so Erber. „Die Mieten werden leistbar sein“, hat Erber versprochen, das werde kein Nobelghetto. Sein Konzept basiere vielmehr auf der vom Land stark geförderten umfassenden Sanierung – „das heißt, dass wir auch viele Gebäude stehen lassen und sanieren“.
Insgesamt umfassen die drei Quartiere der Erber-Gruppe eine Bruttonutzfläche von 108.000 Quadratmetern, die man „Schritt für Schritt“ entwickeln will. „In acht Jahren wollen wir bis zu 1.200 Wohnungen für rund 3.000 Menschen bauen“, sagt Erber. Darüber hinaus sollen Kinderbetreuungseinrichtungen, Arztpraxen, Apotheken, Nahversorger, Büros, Gastronomie und Kultureinrichtungen Platz bekommen. Den Wettbewerb für das Quartier Q5 im Bereich des künftigen Central Parks hat Erber – mit einem zweiten Investor – bereits ausgelobt.

Geordnete Siedlungsentwicklung
Für Stadtbaudirektor Bertram Werle ist Reininghaus „eine Jahrhundertchance für die Stadt Graz, nicht zuletzt aufgrund der Größe des Areals“. Immerhin handelt es sich hier um insgesamt 100 Hektar Baulandreserven. Gut die Hälfte ist seit 2005 im Besitz der Asset One Immobilienentwicklungs AG. Diese wiederum hat den Gutteil der Gründe schon verkauft – „aber auf der Basis des gemeinsamen Rahmenplans, der auch die Basis für abgestimmte Umwidmungen und Verträge mit der Asset One bildet, sodass wir hier von einer sehr geordneten Siedlungsentwicklung sprechen können, die auch die Interessen der Stadt berücksichtigt“, betont Werle. Wobei diese Interessen vor allem den starken Bevölkerungszuwachs in Graz im Blick haben. Werle: „Graz hat schon seit zehn Jahren jährlich 3.000 bis 4.000 neue Hauptwohnsitze, und die Prognosen zeichnen diesen Weg weiter, vor allem weil eine landesinterne Umschichtung stattfindet, sprich Graz hat sehr viel Zuzug aus anderen schrumpfenden Regionen des Landes.“ Solange dies stattfinde, sei ein entsprechender Wohnraumbedarf in Graz gegeben, der auch befriedigt werden müsse. Und zwar in sinnvollen Lagen. „Und das“, so Werle, „zeichnet Reininghaus auch aus, zumal dies nicht eine Stadterweiterung irgendwo ins Grüne am Siedlungsrand hinein ist, sondern durch die Lage der ehemaligen Reininghaus-Brauerei und der dortigen Siedlungsentwicklung ein innerstädtisches Entwicklungsfenster darstellt, das sich optimal für eine neue Zentrumsbildung und Verdichtung mit urbanem Nutzungsmix eignet.“

Endausbau ehestens in zehn bis zwölf Jahren
Bürgermeister Nagl fand anlässlich der Präsentation des Erber-Pucher-Startprojekts „nicht nur die Vielfalt mit Bereichen für Wohnen, Arbeit, Parks und Freiflächen bemerkenswert, sondern auch den sensiblen Umgang mit dem historischen Altbestand.“ In Nagls Büro ist auch jene Stelle eingerichtet, wo die verschiedenen Zuständigkeiten für das Stadtteilprojekt Graz-Reininghaus (Magistrat, private Investoren, Noch-Haupteigentümer Asset One sowie die ausgegliederte Holding) koordiniert werden. Personell besetzt wird diese Koordinationsstelle von Albrecht Erlacher, vorher Geschäftsführer der Landesimmobiliengesellschaft Steiermark. Er weiß zu berichten, dass ein Teilstück des Reininghaus-Areals sogar schon weiter gediegen ist als das Erber-Pucher-Projekt: die sogenannte „Linse“, eine Fläche zwischen der Reining­hausstraße und der GKB-Trasse (Graz-Köflacherbahn), für die, noch der Asset One gehörend, der Bebauungsplan noch vor diesem Sommer beschlossen werden soll. Mehr als 50.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche werden hier verbaut.

Laut Erlacher gibt es neben dem Noch-Haupteigentümer Asset One mittlerweile neun Miteigentümer im Kerngebiet. Unter anderem vier gemeinnützige Bauträger, die sehr große Flächen erworben haben, zu einem großen Anteil die Grazer ÖWG. Weiters haben sich die Ennstal Gruppe und die Wiener BWS-Gruppe mit ihrer Grazer Tochter „Schönere Zukunft“ in Reininghaus eingekauft. An privaten Investoren gibt es bis dato neben der Erber-Gruppe noch weitere zwei private Bauträger. Und bereits vor der Bürgerbefragung hatte sich der ÖAMTC ein Teilstück in der Größe von 26.000 Quadratmetern im Eck Friedhofgasse / Alte Poststraße für seine neue Landeszentrale gesichert. Dieser Bau befindet sich bereits in der Endphase. Ein Quartier hat übrigens auch die Stadt angekauft – für einen Schulcampus, dessen Baubeginn aber noch nicht absehbar ist.

Die Abfolge der weiteren Bebauung der Reininghaus-Gründe wird primär von den jeweiligen bauträgerspezifischen Interessen bestimmt. „Eine BWS-Gruppe etwa wird eher auf eine Bebauung drängen, auch die kleineren Privaten, die in Richtung Eigentum gehen, werden natürlich aus finanziellen Notwendigkeiten heraus ehestmöglich bauen wollen“, sagt Erlacher. „Für die Gemeinnützigen dagegen, die große Flächen mit einer nicht so hohen Baudichte erwerben, sind das eher Grundstücksreserven, wo kein besonderer Zeitdruck der Umsetzung besteht.“ Im gemeinnützigen Bereich rechne er damit, dass man erst in vier bis fünf Jahren zu bauen beginnt. Der Endausbau des gesamten Reininghaus-Areals erwartet Erlacher „frühestens in zehn bis zwölf Jahren – weil ja doch in Summe ein paar tausend Wohnungen errichtet werden ­sollen“.

Indirekte Wirtschaftshilfe durch die Stadt
Wobei man auf alle Fälle verhindern will, dass in Graz-Reininghaus nur gewohnt wird. Das Wunschziel ist ein Nutzungsmix in einem Stadtteil mit eigenständiger urbaner Infrastruktur und „sanfter Mobilität“. Ist dieser Nutzungsmix aus heutiger Sicht realistisch? Stadtbaudirektor Werle: „Die Stadt kann hier in mehrerlei Hinsicht unterstützen, aber dennoch ist es der Markt, der entscheidet, ob eine Nutzung wirtschaftlich darstellbar ist oder nicht. Und wenn die Stadt nicht direkt hohe Fördermittel für bestimmte Branchen in die Hand nimmt, was nicht möglich sein wird, müssen es andere Maßnahmen sein.“ So habe man in gemeinsamen Verträgen festgelegt und dementsprechend im Bebauungsplan hohheitsrechtlich auch vorgeschrieben, dass die Sockelzone mit 4,5 Meter Höhe gebaut werden müsse, um künftige Infrastrukturleistungen wie Nahversorgung, Gastronomiebetriebe, einen gewissen Büroanteil und sonstige Flächen möglich zu machen. Und dann werde das ganze Gebiet entsprechend verdichtet. 
„Das heißt, es sind hier teilweise höhere Baudichten möglich als in der Umgebung, und das bedeutet umgelegt ja auch Wirtschaftshilfe“, erklärt Werle – eine Leistung der Stadt, die positiv für die wirtschaftliche Perspektive dieses Stadtteils sei. Man fordere aber auch eine sehr hohe Architekturqualität.“

„Sanfte Mobilität“

Ein Teil des Kernstücks ist die sogenannte „Esplanade“, die sich mehr als 800 Meter lang in Nord-Süd-Richtung erstreckt. Dieses „Rückgrat“ von Reininghaus ist der am dichtesten zu bebauende Bereich und wird weitgehend Fußgängerzone sein beziehungsweise nur von der Straßenbahn befahren werden. Die Erdgeschoßzone soll hier möglichst öffentlich zugänglich sein und abgestimmt mit den Nutzungen als urbane Zone mit öffentlichen Aufenthaltsräumen (Plätzen) gestaltet werden.

Die Straßenbahn soll auch der wesentliche Teil sein, mit dem man neben Bussen und einem Radwegenetz das Ziel einer sanften Mobilität erreichen will. Es sind aber auch Stellplatzbeschränkungen vorgesehen. Erlacher: „Man wird in Reininghaus von der allgemeinen Regelung, wonach pro Wohnung mindestens ein Pkw-Stellplatz errichtet werden muss, abweichen und auf 0,7 Stellplätze pro Wohnung kommen, punktuell auch abhängig vom Nutzungsmix.“ Es soll „Sammelgaragen“ geben, das heißt, je Quartier darf nur eine große Garage gebaut werden, um den Verkehr möglichst draußen zu halten.

Graz ist auf Neubau angewiesen

Wie wichtig ist der neue Stadtteil Reininghaus für die Stadt Graz? Die steirische Landeshauptstadt hatte in den letzten zehn Jahren eine durchschnittliche jährliche Zuwanderung von rund 2.000 Personen, sodass es notwendigerweise laufend erweiterten Wohnbedarf gibt.

„In Graz ist die Möglichkeit der innerstädtischen Nachverdichtung aber nicht in dem Umfang gegeben wie etwa in Wien“, sagt Projektkoordinator Erlacher, „da in Graz durch das Weltkulturerbe Dachbodenausbauten nur in Einzelfällen möglich sind, jedenfalls nicht in einem Ausmaß, das für Wohnraumbeschaffung wesentlich ins Gewicht fallen würde.“ Deshalb sei man auf Neubauten angewiesen, und Reininghaus habe eine relativ gute Lage, Luftlinie zum Hauptplatz nur 1,8 Kilometer entfernt.

Großes Fragezeichen „Büroflächen“

Gerald Gollenz, Fachgruppenobmann Steiermark, äußert aber auch Skepsis dem Projekt Graz-Reininghaus gegenüber: „Es ist gut, dass es dieses Projekt gibt, nur ist es leider nicht so, wie es geplant war, nämlich als wirklich innovativer Stadtteil; das wird es nicht werden.“ Es sei nämlich jetzt genau das der Fall, was eben nicht geplant und gewollt war, nämlich die Filetierung des Areals. Ihm, Gollenz, fehle jedenfalls etwas der Glaube daran, dass das Ganze so, wie es geplant sei, auch funktionieren werde. „Es sind ja nicht nur Wohnungen angedacht, sondern auch Arbeitsmöglichkeiten, und dafür, glaube ich, fehlt ein vom Haupteigentümer geplantes Gesamtkonzept.“

Sicher, Graz brauche wegen des hohen Zuzugs Wohnungen, dieser Zuzug komme aber nicht daher, dass sich neue Firmen in Graz ansiedeln würden, sondern eher daher, dass es mehr Studenten gebe und auch mehr Familien in die Stadt ziehen wollten. „Es wäre natürlich schön, wenn es in diesem neuen Stadtteil einen Nutzungsmix gäbe“, Gollenz ist aber „nicht allzu großer Hoffnung, dass es diesen Mix in der gewünschten städtisch durchmischten Struktur geben wird.“ Es werde sich wohl das eine und andere Geschäfte dort niederlassen, aber ihm fehle derzeit der große Interessent für Büroflächen, auch für wissenschaftlich genutzte Flächen. „Diesen gibt es nicht, denn der Büromarkt in Graz ist seit Jahren davon geprägt, dass es keine große Nachfrage nach großen Flächen gibt“, so ­Gollenz.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
logo

Newsletter abonnieren

Sichern Sie sich Ihren Wissensvorsprung vor allen anderen in der Branche und bleiben Sie mit unserem Newsletter bestens informiert.


Zum Newsletter