„Ein giftiger Cocktail“

Wien
05.07.2023

Von: Redaktion OIZ
Michael Pisecky, Fachgruppenobmann der Wiener Immobilien- und Vermögenstreuhänder, erläutert, welcher Mix die Wohnungsfertigstellungen in der Bundeshauptstadt einbrechen lässt.

Mann mit Anzug und Krawatte
Michael Pisecky: „Es wird in Zukunft keine unbefristeten Mietverträge mehr geben – wegen der ständigen Eingriffe in bestehende Verträge und die vielen Verbandsklagen, neuerdings gegen die Wertsicherungsklausel in Mietverträgen.“

OIZ: Vor welchen Herausforderungen steht der Wiener Wohnimmobilienmarkt?

MICHAEL PISECKY: Erstens vor einem abrupten Rückgang des Neubaus bei den gewerblichen Bauträgern. Bei den Gemeinnützigen herrscht sogar quasi Stillstand. Nach dem bis inklusive heuer andauernden Fertigstellungsboom sowie einer recht guten Rate im nächsten Jahr steht uns ab 2025 ein massiver Einbruch bevor. Die Bauwirtschaft verzeichnet schon jetzt eklatante Auslastungsrückgänge im Hochbau. Ursachen sind die hohen Grundstückskosten, die extrem gestiegenen Baukosten, die hohen Energiepreise, die Inflation, die KIM-V sowie die Zinserhöhungen. Dieser giftige Cocktail bedingt ein Verschieben zahlreicher Immobilienprojekte in Wien.

OIZ: In welchen Größenordnungen bewegen wir uns bei den Grundstücks- und Baukosten?

PISECKY: Laut Exploreal schlägt ein Grundstück in Wien mit durchschnittlich 1.500 Euro pro Quadratmeter zu Buche. Dazu kommen rund 3.500 Euro an Herstellungskosten pro Quadratmeter, was Euro 5.000 ergibt. Mit Planung und Finanzierung ist man bei etwa 7.500 Euro pro Quadratmeter. Die Sehnsucht nach leistbarem Wohnen im Neubau lässt sich so nicht stillen.

OIZ: Wie kann der Neubau – wieder – günstiger werden?

PISECKY: Indem die Baustoffpreise und die Baupreise wieder sinken. Die Lieferketten funktionieren wieder, die Bestände und Lager sind gut gefüllt. Die Vorrausetzungen wären also gegeben. Vor allem gilt es jedoch, die behördlichen Auflagen zu optimieren. Das größte Einsparpotenzial liegt in den Stellplätzen, gefolgt von den überzogenen feuerpolizeilichen Vorgaben. Allein bei diesen beiden Positionen ließe sich bis zu einem Viertel der Baukosten einsparen – ohne die ökologischen Aspekte zu vernachlässigen.

Darüber hinaus müssen wir, um Grundverbrauch und Grundstückskosten zu reduzieren, die Nachverdichtung forcieren. Sprich, wir müssen aufbauen, überbauen, bereits versiegelte Flächen umnutzen. Unser Fokus für die Schaffung von weiterem Wohnraum muss die bebaute Stadt sein. Es existiert ohnehin eine EU-Vorgabe, die besagt, dass wir nicht mehr zusätzlich Grund versiegeln dürfen.

OIZ: Setzt die Wiener Bauordnungsnovelle (BO) hier positiv an?

PISECKY: Am 9. und 10. November 2022 fand eine Fachenquete zur BO statt, zu der die Wirtschaftskammer akkordiert zahlreiche Punkte einmeldete. Der Entwurf zur Begutachtung ist für Sommer angekündigt; eine Medieninformation erfolgte vor wenigen Tagen. Bis Ende dieses Jahres soll die BO-Novelle im Wiener Landtag beschlossen werden. Die BO muss einerseits bei der Nachverdichtung sowie bei den Stellplätzen und den feuerpolizeilichen Auflagen ansetzen. Andererseits müssen, um den Neubau wieder anzukurbeln, die Verfahren beschleunigt werden. Der Zeitverlust macht den Bauträgern extrem zu schaffen. Auch punkto Verfahrensverkürzung brachten wir einen konkreten Vorschlag ein. Wir müssen in Wien im Neubau zügig wieder 12.000 bis 14.000 fertiggestellte Wohneinheiten per anno erreichen. Die Rekordwerte der Jahre davor sind gar nicht das Ziel. Die aktuelle Delle kompensiert der Überbestand.

Blick auf Wien
Wegen des hohen Anteils an Mietwohnungen ist Wien vom Bestellerprinzip hauptbetroffen.

OIZ: Der Rückgang des Neubaus ist die erste Herausforderung, vor der der Wiener Wohnimmobilienmarkt steht. Was ist die zweite?

PISECKY: Die stockende Sanierungsrate. Der Zielwert von drei Prozent liegt seit Jahren in weiter Ferne. Dabei führt aus ökologischer Sicht kein Weg an Sanierungen vorbei. Denn, wenn weniger Energie verbraucht wird, geht die Reduzierung fossiler Brennstoffe einfacher vonstatten bzw. fällt die Umstellung auf nicht-fossile Brennstoffe leichter und die Bewohner der einzelnen Gebäude kommen in den Genuss einer höheren Lebensqualität.

OIZ: Woran scheitern Sanierungen in Wien bis dato?

PISECKY: Im gewerblichen und privaten Bereich bildet die Rechtsunsicherheit bei den Mietverträgen das Haupthindernis – also die ständigen Angriffe auf bestehende Verträge und die laufenden Verbandsklagen durch die Konsumentenschützer. Gar nicht zu reden von der durch verschiedene OGH-Urteile zugespitzten Lagezuschlagsproblematik, die leider ein reines Wiener Problem darstellt. Jedes Gebäude muss einzeln betrachtet werden. Die MA24 erstellt nicht umsonst keine Lagezuschlagskarte mehr. Diese Rechtsunsicherheit belastet sowohl Mieter als auch Vermieter. Zweitere hüten sich angesichts dessen, dass sie ihre Mieteinnahmen nicht berechnen können, davor, in Sanierungen zu investieren.

OIZ: Was bedeutet das in der Konsequenz?

PISECKY: Schlimmstenfalls wird es in Zukunft keine unbefristeten Mietverträge mehr geben – auch wegen des ständigen Torpedierens der Wertsicherungsklausel. Oder es wird endlich Rechtssicherheit geschaffen. Damit meine ich eine Mietrechtsnovelle beziehungsweise ein neues Mietrecht.

OIZ: Ist denn die Rechtslage bezüglich Heizungsumrüstungen sicher?

PISECKY: Nein. Hier ist wie beim Mietrecht der Bund gefordert. Dafür ist auch die Mitarbeit der Opposition erforderlich. Es geht um Gesetze im Sinne der Energienutzung, also etwa das Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG) und das Energieeffizienzgesetz. Zweiteres wurde kürzlich in einer „Light-Version“ beschlossen. Beim EWG, bei dem derzeit Stillstand herrscht, müssen wohnrechtlichen Umsetzungsmaßnahmen berücksichtigt werden. Die beiden Gesetzestexte werden jedoch keinen Sanierungsboom im Mietwohnungsbereich auslösen. Damit die Vermieter investieren können, brauchen wir wie schon erwähnt ein rechtssicheres Mietrecht. Darüber hinaus benötigen wir Förderungen. Wichtig ist, dass zuerst saniert und dann erst das Heizsystem umgestellt wird.

OIZ: Um bei der Miete zu bleiben: Wie wird das Bestellerprinzip den Wohnimmobilienmarkt beeinflussen?

PISECKY: Aufgrund des hohen Anteils an Mietwohnungen wird Wien vom Bestellerprinzip hauptbetroffen sein. Gemeinsam mit dem ÖVI setzten wir als Wirtschaftskammer alles daran, den Maklerunternehmen bestmögliche Voraussetzungen für die Umstellung zu schaffen. Trotz aller Herausforderungen glauben wir, dass es uns die Einführung des Bestellerprinzips ermöglicht, unsere Dienstleistungen strukturiert zu präsentieren. Denn, nicht nur etliche Politiker, auch viele Kunden wissen nicht, welche umfangreichen Services Makler erbringen. Jetzt sind wir im positiven Sinn gezwungen, genau darüber zu sprechen. Wir müssen, um Provisionen vereinbaren zu können, unseren Mehrwert kommunizieren. Wenn uns das gelingt, können wir als Branche von der Umstellung profitieren, den Wissensstand über unsere Dienstleistung erhöhen und damit unser Image verbessern!

OIZ: Vor welchen Herausforderungen stehen die Verwalter in Wien?

PISECKY: Unsere Berufsgruppen kämpfen mit einem Facharbeitermangel, speziell die Verwalter. Um hier zu unterstützen, etablierten wir als Fachgruppe auf https://immy.at eine Jobplattform, auf der auch die Stellenanzeigen von karriere.at durchgeschaltet werden. Weiters sprechen wir mit Werbemaßnahmen wie „Haus sucht Chefin“ Interessenten an und wir organisieren Workshops für sie. Wir stellen ein E-Learning-Tool zur Verfügung. Unsere Branchenunternehmen sollen so leichter vorinformierte Mitarbeiter finden.

Indem wir an die Schulen gehen, setzen wir in einer zweiten Schiene auch früher an. Wir vermitteln den Schülern wirtschaftliche Bildung zum Thema Wohnen und somit Informationen zu den damit einhergehenden beruflichen Tätigkeiten. Apropos, wir suchen Praktikumsplätze. Denn das ist für Branchenunternehmen die einfachste Art, künftige Mitarbeiter kennenzulernen.