Bäume & Immobilien – eine nicht friktionsfreie Beziehung

Haftung
06.03.2024

Von: Redaktion OIZ
Neue Haftungsregeln sollen sogenannte „Angstschnitte“ künftig bundesweit verhindern. Derweil wurde in Wien das Baumschutzgesetz novelliert.

Mann mit Brille
Hans Jörg Ulreich, Geschäftsführender Gesellschafter der Ulreich Bauträger GmbH: „Jeder von mir kontaktierte Gärtner bestätigte mir, dass sich Stadtbäume und Balkone nicht ausschließen.“

Für die einen streng erhaltenswertes Naturgut, für die anderen belastendes Gehölz. Geht es um Bäume, dann kann deren Vorhandensein am Grundstück bei Immobilienbesitzern durchaus Sorgen und Kopfzerbrechen bereiten, denn: Fallen Äste vom Baum oder stürzt gar der Baum um und werden Menschen oder Sachgüter verletzt oder beschädigt, kann dies weitreichende Folgen für den Baumeigentümer haben. Das habe – geht es nach Meinung einiger Regierungsverantwortlicher – dazu geführt, dass bisher an sich gesunde Bäume sicherheitshalber allzu oft gefällt wurden. Um dem Einhalt zu gebieten und Baumbestände vor deren – möglicherweise ungerechtfertigter und unverhältnismäßiger – Rodung zu retten, schuf man daher vor Kurzem neue themenspezifische Rechtsgrundlagen. Auf Bundesebene wurde die schadenersatzrechtliche Haftung bei typischen Schadensereignisse durch Bäume wie das Umstürzen und das Abbrechen und Herabfallen von Ästen außerhalb von Wäldern neu geregelt. Im Rahmen dessen entfällt fortan die Beweislastumkehr. Die Begutachtungsfrist endete am 21. Februar 2024.

Während auf haftungsrechtlicher Ebene eine neue sachgerechte Regelung gefunden scheint, stellt sich für Vertreter der Immobilienbranche in der Bundeshauptstadt bei der jüngst vorgestellten Novelle des Wiener Baumschutzgesetzes die Frage nach deren Angemessenheit. Zumal die Sache mit den Bäumen davor schon nicht ganz friktionsfrei war. Etwa beim Thema Brandschutz oder wenn es um die Errichtung von Balkonen geht. Hierfür müssen bei ausgewachsenen Bäumen Mindestabstände eingehalten werden. So dürfen Bäume in ihrer Entwicklung nicht einschränkt werden und deren Pflege nicht erschwert werden. „Jeder von mir kontaktierte Gärtner hat mir bestätigt, dass sich Stadtbäume und Balkone nicht ausschließen. Aber eine generelle Vorgabe – wo Baum, da kein Balkon mehr möglich – ist halt einfacher zu exekutieren“, beklagt Hans Jörg Ulreich, Geschäftsführender Gesellschafter Ulreich Bauträger.

Frau in schwarzer Bluse
Doris Minich, Geschäftsführerin bei Minichs Gärten: „Bei unzureichendem Wundverschluss nach einer Kappung kann der Baum innen hohl werden, selbst wenn er äußerlich grünt.“

Für Ärgernis im Zusammenhang mit der Novelle sorgt insbesondere, dass diese per Initiativantrag eingebracht wurde; ohne Miteinbeziehung der Interessensvertretung der Immobilientreuhänder. Ulreich: „Es gab leider keinerlei Diskussion, keine öffentliche Auflage, keine Übergangsfristen. Es kam quasi über Nacht.“ Aus der Stadtregierung heißt es, man wollte damit die Gefahr bannen, dass ein vorzeitiges Bekanntwerden möglicherweise viele Baumfällungen zur Folge haben könnte. So tritt die Novelle ab Kundmachung rückwirkend mit 15. Jänner 2024 in Kraft. Die Strafbestimmungen gelten mit dem der Kundmachung folgenden Tag.

Gesamtes Gehölz betroffen

Wenngleich gesellschaftlich relevant – Stichwort, Erhalt von Grünraum und Biodiversität –, stellt sich die Frage, ob hier in der noch besseren Absicherung des Wiener Baumbestandes nicht weit übers Ziel geschossen wurde. Hinzu kommt, dass die meisten klassischen Bäume in der Stadt nicht Klimawandel-tauglich sind und es generell trockenheitsresistentere Arten bräuchte. Für Gärtnermeister und Sachverständiger Walter Kirchner steht fest: „Es ist ein Geldbeschaffungsgesetz.“ Hinzu kommt, dass schon allein der Name falsch sei: Es gehe nämlich um den Schutz und Erhalt des gesamten Gehölzes und damit seien auch Sträucher wie der Flieder von der Novelle betroffen. Das heißt: Selbst das Entfernen einer Thujenhecke wird zur behördenwirksamen Angelegenheit. Konkret fallen alle Laub- und Nadelhölzer, deren Stammumfang – gemessen in einem Meter Höhe – mindestens vierzig Zentimeter beträgt, unter die Bestimmungen des Wiener Baumschutzgesetzes. Jetzt hinzu kommt eine Präzisierung des Begriffs „Obstbaum“ mit dem Ziel, noch mehr Baumarten unter Schutz zu stellen.

Die neuen, strengeren Bestimmungen erschweren das Fällen von Gehölz beziehungsweise hat eine behördlich bewilligte Rodung künftig kostenintensive Auswirkungen auf den Eigentümer des gerodeten Gehölzes. Wie kostspielig und damit folgenreich die Akte Baum nun werden kann, berichtet Ulreich: „Ein Kollege kaufte ein Grundstück mit 89 Bäumen. Er kalkulierte daher 89.000 Euro für die Rodung. Jetzt sind es aber 445.000 Euro, was den Neubau verunmöglicht beziehungsweise das Grundstück entwertet und es ist nur mit Verlust wieder zu verkaufen.“

Baumstamm mit Pilz
Stamm einer Salix (Weide) mit Bohrlöchern von Coussus cossus (Weidenbohrer) sowie Kompartimentierungszonen im Holz. Durch diese Barrieren versucht der Baum, einen Pilz in seiner axialen, radialen und tangentialen Ausbreitung zu verhindern. Im gegenständlichen Fall schaffte er es nicht. Die Standsicherheit ist nicht mehr gegeben. Der Baum ist zu roden.

Warum ist das so? Sollte eine Baumfällung nötig sein, müssen fortan mehr und größere Ersatzpflanzungen vorgenommen werden. Ersatzbäume sollen rascher „klimawirksam“ werden, etwa durch die Vorschreibung größerer Ersatzbäume mit größerem Kronenvolumen oder durch die Möglichkeit zur Pflanzung von „XL-Bäumen“. Dem nicht genug. „Kann ich die vorgegebene Ersatzpflanzung nicht in vollem Ausmaß erfüllen, zahle ich pro nicht gesetzten Baum eine Ausgleichszahlung. Das geht ins Geld“, betont Kirchner, den die behördliche Vorgabe von Art und Menge der Ersatzpflanzen ebenso erzürnt. Die Ausgleichsabgabe wurden verfünffacht. Statt wie bisher Euro 1.090 sind nun Euro 5.000 zu berappen und diese sind künftig auch valorisiert. Kirchner liefert dazu ein eindrückliches Beispiel: „Eine Thujenhecke besteht aus mehrstämmigen Gehölzen. Da kann es passieren, dass ich bei der Rodung einer zehn Meter langen Thujenhecke über vierzig Ersatzpflanzungen vornehmen muss. Wenn von den vorgegebenen Ersatzpflanzen aufgrund der Einhaltung von Abstandsregeln aber nur drei Stück hinpassen, zahle ich für den Rest die Ausgleichsabgabe. Hier hängt man sich ein grünes Manterl um, verbessert sich aber nur das Konto. Das ist alles Larifari.“ Und dass, obwohl Immobilieneigentümer ja grundsätzlich nicht nicht begrünen wollen. Eine Ersatzpflanzung kann außerdem eine Bodenentsiegelung, Bodenverbesserung und entsprechende Bewässerung notwendig machen. „Wer zahlt mir das?“, fragt Kirchner. Als zumutbar erachtet die Stadt Wien Maßnahmen, deren Kosten sich der Höhe nach im Rahmen der Ausgleichsabgabe bewegen.

An der Praxis vorbei

Ersatzpflanzen müssen aber nicht zwangsläufig am eigenen Grundstück stattfinden. Hier gibt es auch Möglichkeiten, diese andernorts durchführen zu lassen. Der Radius der erlaubten Ersatzpflanzung wurde auf den gesamten Bezirk ausgeweitet. Die Ausweitung soll nach Ansicht der Stadtregierung insgesamt zu mehr punktuellen Entsiegelungen und mehr gepflanzten Ersatzbäumen führen.

„Es ist wie immer in Wien. Es klingt super – wohl niemand hat etwas gegen Baumschutz, auch die Ersatzpflanzung findet grundsätzlich jeder gut –, aber in der Umsetzung ist es so kompliziert, teuer und an der Praxis vorbei, dass man es dann gleich sein lässt. Entweder den Wohnbau oder das Grün“, sagt Ulreich. Die aktuelle Thematik möchte er allerdings nicht auf den Kostenfaktor, der für Immobilientreuhänder „natürlich eine Rolle spielt“, reduzieren. Viel schwerer wiege der Verlust: „Das Baumschutzgesetz führt im Endeffekt nicht zu mehr Begrünung. Und das ist ja für uns alle letztendlich fatal. Wir brauchen unkomplizierte, unbürokratische und in einem realen Kostenrahmen fallende Lösungen, damit im Endeffekt viel mehr Bäume, Balkone und Begrünungen herauskommen. Davon sind wir leider weit entfernt. Egal wie die neue Regelung heißt, sie führt am Ziel praktisch weit vorbei.“

Bäume vor einer Glasfassade eines Hochhauses
Bei der Beziehung Baum & Immobilie scheiden sich die Geister in Bezug auf Praxis und Theorie. Daran ändern auch die gesetzlichen Neuerungen nur bedingt etwas.

Weitere Neuerungen sind übrigens: Die Frist, nach deren Ablauf die Pflicht zur Ersatzpflanzung als erfüllt gilt, wird von fünf auf zehn Jahre ausgedehnt. Wird eine bewilligte Baumentfernung nicht innerhalb von zwei Jahren nach Rechtskraft des Bescheides durchgeführt, erlischt die erteilte Bewilligung. Damit will man jahrelanges „Vorrätighalten“ von Fällungsbewilligungen verhindern. Im schlimmsten Fall kann ein derartiges Ereignis allerdings ein ganzes Projekt stoppen. Die Geldstrafen für Verwaltungsübertretungen wie beispielsweise eine Baumentfernung ohne Bewilligung wurden übrigens deutlich erhöht. Rechtswidriges Verhalten wird für Baumeigentümer teuer: Der Strafrahmen liegt zwischen Euro 1.000 bis zu Euro 70.000.

Eigenkontrolle mit Fotodokumentation

Zurück zur Haftungsfrage: Um bestehendes und gewünschtes Gehölz künftig vor einer Fällung zu bewahren oder diese hinauszuzögern, empfiehlt sich deren regelmäßige Begutachtung. Insbesondere dann, wenn Grabarbeiten in Nähe des Baumes stattgefunden haben; zur Abklärung der Standsicherheit sowie bei Baumschwämmen oder wenn der Baum einmal stark eingekürzt wurde, sagt Gärtnermeisterin Doris Minich, Geschäftsführung Minichs Gärten. Und weiter: „Bei unzureichendem Wundverschluss nach einer Kappung kann der Baum innen hohl werden, selbst wenn er äußerlich grünt.“ Kritisch zu betrachten ist insofern der Altbaumbestand. Wobei die Relevanz des Alters von Baumart zu Baumart schwankt: So könne eine Birke mit fünfzig Jahren schon uralt sein, eine Linde mit 200 Jahren hingegen noch immer gesund. Bei Eigenkontrolle kann Minich zufolge ein Fotodokumentation des Baumes mit punktuellen Aufnahmen im April und September hilfreich sein. Um den umfassend Gesundheitszustand eines Baumes zu eruieren, wird es aber einen Experten brauchen. Ein Gutachten gibt es bei Minichs Gärten um 160 Euro pro Baum.

Die Dokumentation des Bestands in Form von Gutachten kann auch im Falle von typischen Schadensereignissen durch Bäume aus haftungsrechtlicher Sicht von Vorteil sein; auch wenn sich der Baumeigentümer nach dem voraussichtlichen Inkrafttreten der Neufassung des Haftungsrechts-Änderungsgesetz mit 1. Mai 2024 nicht mehr freibeweisen muss. Nun liegt es am Geschädigten zu beweisen, dass der Baumeigentümer die erforderliche Sorgfalt bei der Prüfung und Sicherung des Baumes vernachlässigt hat. Wobei das mit der Verletzung der Sorgfaltsplicht so eine Sache ist. "Was bedeutet das genau?", fragt Gärtnermeister Kirchner und ergänzt: "War der Platz für den Baum zu klein, wurde er nicht ausreichend gegossen?Da kann man mir viel umhängen und mich bis aufs Blut sekkieren.“ Kurzum: Beim Thema Baum scheiden sich die Geister in Bezug auf Praxis und Theorie. Daran ändern auch die gesetzlichen Neuerungen nur bedingt etwas.