Anwendung des FAGG auf Mietverträge über Immobilien

28.07.2014

 
Die Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie in österreichisches Recht stellt zweifellos eine nicht alltägliche Herausforderung an die Legisten1, mehr aber noch an die Rechtsanwender dar.

Text: Mag. Andreas Berger

Von den vielen Unklarheiten und Unsicherheiten, die diese mit dem mittlerweile am 13. 6. in Kraft getretenen Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz (kurz FAGG) mit sich bringt, soll in diesem Beitrag ein für die Immobilienwirtschaft ganz wesentlicher Aspekt näher beleuchtet werden.
Der Autor ist in seinem Beitrag in der OIZ 04/2014 davon ausgegangen, dass das – damals noch in Begutachtung befindliche – FAGG auf Mietverträge über Immobilien generell keine Anwendung findet. Diese Rechtsansicht fußt auf § 1 Abs 2 Z 6 des FAGG, wonach dieses u. a. nicht für Verträge „über die Begründung, den Erwerb oder die Übertragung von Eigentum oder anderen Rechten an unbeweglichen Sachen“ gilt. Nunmehr wird vielfach die Ansicht vertreten2, dass nur Mietverträge zu Wohnzwecken eine Ausnahme vom FAGG darstellen. Mietverträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern über Geschäftsräume oder neutrale Objekte (wie etwa Garagen oder Hobbyräume) würden sehr wohl unter das FAGG fallen. 
Zur Untermauerung dieser Rechtsansicht werden im Wesentlichen zwei Aspekte ins Treffen geführt:
Der oben wiedergegebenen Z 6 des § 1 Abs 2 FAGG folgt eine Ziffer 7, wonach dieses Bundesgesetz (auch) nicht für Verträge „über den Bau von neuen Gebäuden, erhebliche Umbaumaßnahmen an bestehenden Gebäuden oder die Vermietung von Wohnraum“ gilt. 

ErwGr 26 der Richtlinie 2011/83/EU enthält folgende Aussage: „Verträge … über die Vermietung von Wohnraum sind bereits Gegenstand einer Reihe spezifischer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften. … Die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen eignen sich nicht für diese Verträge, welche daher vom Geltungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen werden sollten.“
Wenngleich dieser Beitrag nicht den Anspruch erheben kann, die eine oder andere Rechtsansicht für richtig oder falsch zu erklären, ist doch Folgendes zu erwägen:
Mietverträge über Immobilien sind nach österreichischem Recht eindeutig und zweifellos Verträge „über die Begründung von Rechten an unbeweglichen Sachen“ iSv § 1 Abs 2 Z 6 FAGG. Der Bestandvertrag ist ein Konsensualvertrag, der obligatorische (keine dinglichen) Rechte begründet3. Alle Immobilien (egal ob Geschäftsräume, neutrale Räumlichkeiten oder Wohnungen) sind zudem unbewegliche Sachen. 

Somit muss zunächst einmal festgehalten werden, dass jede Auslegung, die Mietverträge über Geschäftsräume oder neutrale Objekte nicht vom Wortlaut des § 1 Abs 2 Z 6 FAGG erfasst sieht, dem „äußerst möglichen Wortsinn“ dieser Bestimmung widerspricht. Dieser steckt aber zunächst die Grenze jeglicher Auslegung ab und darf auch mit den (anderen) Interpretationsmethoden nicht überschritten werden.4 
Zwei Fragestellungen sind in diesem Zusammenhang näher zu untersuchen:
Kann eine richtlinienkonforme Auslegung von nationalen Rechtsvorschriften eine Interpretation gegen diesen äußerst möglichen Wortsinn, also quasi „contra legem“, rechtfertigen?
Ist der konkret umzusetzenden Richtlinie 2011/83/EU und damit der Absicht des Umsetzungsgesetzgebers5 wirklich der Sinn zu entnehmen, dass das FAGG auf Mietverträge über Immobilien generell oder für bestimmte Kategorien von Immobilien Anwendung zu finden hat?
Zumindest die zweite Fragestellung kann klar beantwortet werden: Die beiden Ausnahmeregelungen des § 1 Abs 2 Z 6,7 FAGG sind im Lichte einer systematisch-logischen Auslegung, auch unter Berücksichtigung des umzusetzenden Richtlinien-Textes, durchaus als stimmig einzustufen.
Dass Ziffer 6 alle Rechte an unbeweglichen Sachen, somit auch alle Mietrechte, vom Anwendungsbereich des FAGG ausnimmt, findet im ErwGr 26 der Richtlinie Deckung. Dieser begründet die intendierte Ausnahme für Verträge über die Vermietung von Wohnraum vom Geltungsbereich der Richtlinie ja damit, dass diese bereits „Gegenstand einer Reihe spezifischer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften“ sind. 
Für das innerstaatliche österreichische Recht ist festzuhalten, dass nicht nur die Vermietung von Wohnraum, sondern jedenfalls auch die Vermietung von Geschäftsräumlichkeiten aller Art vom Geltungsbereich des MRG erfasst ist und sich die bestandrechtlichen Bestimmungen der §§ 1090ff ABGB auf alle Mietverträge erstrecken. Somit sind in Österreich im Wesentlichen alle Mietverträge über Immobilien Gegenstand „spezifischer einzelstaatlicher Rechtsvorschriften“ im Sinne des ErwGr 26. Insofern entspricht es voll und ganz der Intention des ErwGr 26, wenn Z 6 alle Mietverträge vom Anwendungsbereich des FAGG ausnimmt.

Dass Z 7 als Ausnahmebestand hinsichtlich Mietverträge nur die „Vermietung von Wohnraum“ anführt, ist insofern schlüssig, als Geschäftsraummietverträge aufgrund der – in aller Regel vorhandenen – Unternehmereigenschaft des Mieters ohnehin nicht als Verbrauchergeschäft iSd § 1 KschG zu qualifizieren sein werden. Ein solches wäre aber grundlegende Voraussetzung für die Anwendung des FAGG6, eine explizite Erwähnung der Geschäftsräumlichkeiten als Ausnahmetatbestand erübrigt sich insofern.
Allerdings ist das „Gründerprivileg“ des § 1 Abs 3 KSchG zu beachten, wonach Geschäfte, die eine natürliche Person vor Aufnahme des Betriebes ihres Unternehmens zur Schaffung der Voraussetzungen dafür tätigt, (noch) als Verbrauchergeschäfte zu qualifizieren sind. Dem Unionsrecht ist eine derartige Erweiterung des Verbraucherbegriffes fremd7, sodass hinsichtlich des Anwendungsbereiches des FAGG das Anknüpfen am Verbraucherbegriff des KSchG insofern ein „golden plating“8 durch den Umsetzungsgesetzgeber darstellt.

Folgt man nun der Ansicht, dass Mietverträge über Geschäftsräumlichkeiten und neutrale Objekte grundsätzlich vom Anwendungsbereich des FAGG erfasst sind, käme man zu dem widersinnigen Ergebnis, dass der Mieter einer Wohnung – der in aller Regel als Verbraucher iSd EU-Rechts zu qualifizieren sein wird – schlechter geschützt ist als der werdende Unternehmer und der Mieter einer neutralen Räumlichkeit, wie etwa der eines Tischtennisraumes. Diese Konsequenz widerspricht Art. 1 der RL, wonach Ziel der RL die Erreichung eines hohen Verbraucherschutzniveaus ist. 
Völlig abstrus wäre diese Konsequenz auch angesichts der Ausführungen in den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf9, wenn diese festhalten, dass die Erweiterung des Anwendungsbereiches durch Verweis auf den (weiteren) Verbraucherbegriff des KSchG zur Herstellung einer „konsistenten Rechtslage“ (!) in Österreich erforderlich sei. Gerade das Gegenteil wird aber erreicht, wenn man Mietverträge über Gründungsgeschäfte werdender Unternehmer im Gegensatz zu Mietverträgen über Wohnraum dem FAGG unterworfen sieht.

Darüber hinaus würden sich im Zusammenhang mit der Anwendung des FAGG auf Mietverträge eine Reihe weiterer, kaum zu beantwortender Fragen stellen: Wo bitte hat ein vermietender Eigentümer10 seine „Geschäftsräumlichkeit“? Ist das die Örtlichkeit des zu vermietenden Tischtennisraumes oder der Raum, in dem sich die Buchhaltungsunterlagen befinden? Etc., etc.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Aussage, dass sich die Ausnahmeregelung des § 1 Abs 2 FAGG Z 6, 7 auf alle Mietverträge über Immobilien bezieht, nicht nur Ergebnis einer wörtlichen, sondern auch einer systematisch-logischen Auslegung ist.
Da diese auch mit den Intentionen (Erwäggründen) der Verbraucherrechterichtlinie vereinbar ist, ist auch keine Notwendigkeit ersichtlich, im Rahmen einer vermeintlich „mit höherrangigem Recht konformen“11 Auslegung der Bestimmung eine Bedeutung beizumessen, die mit den Auslegungskriterien der §§ 6, 7 ABGB beim besten Willen nicht zu erzielen ist und jedes Vertrauen des Rechtsanwenders in den Wortlaut eines Gesetzes schwerst erschüttern würde.