Die Sehnsucht nach dem Gebäudetyp E
Der Ansatz soll eine Balance zwischen der Vereinfachung von baurechtlichen Vorgaben und den notwendigen Sicherheitsstandards finden. Leistbares, nachhaltiges und innovatives Bauen soll langfristig gewährleistet werden.

Als Reaktion auf die Herausforderungen im Wohnbau – wie explodierende Baukosten, langwierige Genehmigungsverfahren und hohe Standards – entstand in Deutschland vor einigen Jahre eine Initiative zur Einführung eines Gebäudetyps E. Er steht für „einfaches, experimentelles und effizientes Bauen“. Das in Bayern entwickelte Modell wurde in weiteren deutschen Bundesländern erprobt. Wie weit die Bestrebungen hinsichtlich des Gebäudetyps E in unserem Nachbarland bereits gediegen sind, zeigte jüngst die Prämierung der innovativsten Landesbauordnungen durch den Zentralen Immobilien Ausschuss (ZIA). Gewürdigt wurden gesetzgeberische Ansätze, die den Wohnungsbau erleichtern, Genehmigungsverfahren beschleunigen und Investitionen fördern. In der Kategorie „Umbau/Bauen im Bestand“ ging Niedersachsen als Gewinner hervor. Die OIZ berichtete letztes Jahr über die damals vorgenommene Novelle der Bauordnung, die von richtungsweisender Wirkung sein könnte (siehe OIZ 9/2024, Seite 40 – 42)
Auch in Österreich wird dieser Planungsansatz besonders von der Architektenschaft begrüßt. Aktuell befindet er sich in einer Prüf- und Diskussionsphase. Dabei setzt sich die Branche schon länger mit dem Thema des „einfacheren Bauens“ auseinander. Das vor kurzem veröffentlichte Positionspapier „Endlich einfacher bauen“ der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen zielt exakt darauf ab. Es sieht primär drei Maßnahmen als notwendig an, um einfacheres Bauen zu ermöglichen: eine Forschungs-/Entwicklungsoffensive im Baubereich, eine rechtliche Absicherung und Entbürokratisierung als Grundlage für Innovation sowie neue Formen der Zusammenarbeit für eine neue Art des Bauens.
Juristische Hilfe wegen Vorhangschienen…
Durch die Vorstöße in Deutschland unter dem Titel Gebäudetyp E bekam das Thema des „einfacheren Bauen“ einen griffigen Namen, sagt Architekt Günter Katherl, Geschäftsführer Caramel Architekten, Vorsitzender des Ressort Zukunft Lebensraum der Bundeskammer der Ziviltechniker:innen und Präsidiumsmitglied der Kammer der Ziviltechniker:innen für Wien, Niederösterreich, Burgenland. Er bringt triftige Gründe für den neuartigen Planungsansatz vor: „Das aktuell bestehende Regelwerk am Bau ist mittlerweile derart umfassend und komplex, dass es Innovationen und Forschung massiv hemmt und damit auch die Freude an der Arbeit nimmt. Bei mehreren tausend Normen und den zusätzlich geltenden gesetzlichen Regelungen bewegt man sich juristisch gesehen heute immer auf Glatteis. Es schlich sich deshalb ein extremes Sicherheitsdenken ein. Das wirkt sich zwangsläufig negativ auf das kreative, innovative und freie Schaffen von Architekten aus.“ Für „die Absurdität der Vorgaben“ kann er ein treffendes, persönliches Beispiel nennen: „Mein Büro benötigte in der direkten Vergangenheit gleich bei zwei Projekten wegen Vorhangschienen juristische Hilfe.“ Zudem klagt er über die immensen Auswirkungen beim Umgang mit Bestandsimmobilien und hat auch dafür ein Beispiel parat. „Es werden über hundert Jahre alte Bauteile wie historische Steinstiegen leichtfertig zerstört, um Normen zu erfüllen und keine Klagen bei etwaigen Stürzen befürchten zu müssen“, sagt Katherl und setzt nach: „Beide Fälle zeigen, dass wir mit unserem Latein nahezu am Ende sind.“

Credit: Jana Madzigon
Dabei stellt sich die Frage, ob der im Wohnbau geschaffene Komfort überhaupt zweckmäßig und sinnvoll ist. Für Katherl ist klar: „Die eierlegende Wollmilchsau brauchen wir gar nicht.“ Dabei gehe es den Architekten beim Gebäudetyp E nicht um ein primär billigeres, qualitativ einfaches oder plumpes Bauen, sondern um vereinfachte und rascher durchführbare Prozesse, die mehr Planungsfreiheit erlauben, betont er: „Auf Kreativität und Innovation müsste nicht verzichtet werden – ganz im Gegenteil. Die Kostenreduktion wäre das Nebenprodukt einer vereinfachten, zielführenderen und innovativen Herangehensweise. Einsparungen könnten sich beispielsweise durch effiziente Raumkonzepte ergeben.“
Abweichungen theoretisch möglich
Kallco Development verfolgt beim Stadtentwicklungsgebiet Oberes Hausfeld in 1220 Wien bereits mit dem Gebäudetyp E vergleichbare Ansätze, auch wenn sie nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. „Wir arbeiten kontinuierlich an wirtschaftlich durchdachten Lösungen, um dem steigenden Kostendruck auf dem Wohnungsmarkt entgegenzuwirken. Ein Beispiel ist der neu entwickelte Fassadenaufbau ‚Slim Coat‘, mit dem wir Herstellungskosten optimieren und gleichzeitig funktionale sowie gestalterische Anforderungen erfüllen“, berichtet Stefan Eisinger-Sewald, Vorsitzender der Geschäftsführung Kallco Development. „Slim Coat“ befindet sich im Patentverfahren, genauer gesagt in der Anmeldephase. Deshalb werden zum jetzigen Zeitpunkt keine Details bekanntgegeben. Verfolgt werde jedenfalls das Ziel, durch konstruktive Vereinfachung Herstellungskosten zu senken, ohne auf höchste technische Anforderungen zu verzichten.
Theoretisch können Architekten in Vereinbarung mit dem Bauherrn in ihrer Planung von Normen abweichen. Denn Normen sind im eigentlichen Sinn „nur“ Richtlinien. „Es besteht dann aber die Gefahr, mit dem Konsumentenschutz in Konflikt zu geraten“, betont Katherl und ergänzt: „Richter und Sachverständige berufen sich im Rechtsstreit letztlich immer auf die Normen. Somit gelten sie de facto wie ein Gesetz. Selbst, wenn sich baurechtliche eine Lösung findet – das Zivilrecht kann ich nicht aushebeln. Am Ende siegt immer die Angst und alle Vorhaben münden in der sichersten, aber nicht in der besten, effizientesten, nachhaltigsten und kreativsten Planung eines Gebäudes. Was es also braucht, ist eine Harmonisierung des Bau- und Zivilrechts. Ohne diese ist voraussichtlich auch der Gebäudetyp E nicht umsetzbar.“

Credit: Kallco Development
Eisinger-Sewald hält es für sinnvoll, „wenn gesetzliche Rahmenbedingungen stärker auf funktionale Lösungen setzen, anstatt sich ausschließlich an starren Normen zu orientieren.“ Entscheidend sei, dass die wesentlichen Schutzziele dabei vollständig erfüllt würden. Die Balance zwischen Normenreduktion und Einhaltung von Sicherheitsstandards zu finden sei jedenfalls anspruchsvoll, so der Kallco Development-Chef: „In bestimmten Bereichen, etwa im Brandschutz, sehen wir jedoch Möglichkeiten zur Vereinfachung, ohne dass Sicherheit oder Komfort verloren gehen. Voraussetzung dafür ist eine fundierte technische Herleitung sowie eine nachvollziehbare Dokumentation der Schutzziele. Vereinfachungen sind dort sinnvoll, wo sie planerisch begründet und bautechnisch abgesichert sind.“