Deutschland zündet „Bau-Turbo“
Die Schaffung neuen Wohnraums hinkt im Nachbarland dem tatsächlichen Bedarf weit hinterher. Abhilfe sollen seit Oktober 2025 gültige Neuregelungen im Baugesetzbuch schaffen. Das Ziel: Planungen und Genehmigen wesentlich zu beschleunigen. Die Wirkung bleibt abzuwarten.
Was den Wohnungsmarkt betrifft, so stehen in Deutschland derzeit ebenso wie in Österreich die Zeichen auf Krise. Es mangelt massiv an neuem Wohnraum. Eine Besserung der Lage ist vorerst nicht in Sicht. Mit 251.900 neuen Einheiten lag die Zahl der Baufertigstellungen 2024 14,4 Prozent unter dem Wert des Vorjahrs. 2025 wird es definitiv keine Steigerung geben und auch für 2026 ist von einem weiteren Absinken die Rede.

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„Die Nachfrage nach Wohnungen auf dem Markt ist hoch und steigend. Auf der anderen Seite stehen Kosten für Zinsen, gestiegene Baupreise, konjunkturelle Unsicherheiten und eben auch hohe und in den letzten Jahren stets weiter verschärfte und damit den Bau von Wohnungen tendenziell verteuernde Standards und schleppende Genehmigungsprozesse“, fasst der im Berliner Außenwirtschafts Center tätige Wirtschaftsdelegierte Michael Scherz die Sachlage zusammen.
Gesetz bis 31. Dezember 2030 befristet
Um die Situation nicht weiter eskalieren zulassen, unternahm die deutsche Bundesregierung daher heuer den Versuch, auf baugesetzlicher Ebene gegenzusteuern. Ende Oktober 2025 trat das „Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung“, auch „Bau-Turbo“ genannt, in Kraft. Es ist bis zum 31. Dezember 2030 befristet und soll bis dahin dazu beitragen, den Bau von Wohnungen zu vereinfachen und die damit verbundenen Verfahren zu beschleunigen. Dafür wurden mehrere Änderungen im Baugesetzbuch (BauGB) vorgenommen, darunter Befreiungsmöglichkeiten von bestehenden Bebauungsplänen und anderen BauGB-Vorschriften sowie Abweichungsmöglichkeiten vom bisherigen Ortsbild. Egal ist dabei, ob es sich um einen Neubau, Nachverdichtung oder Umnutzung handelt. Wenngleich die Neuerung nur auf Grundstücke anwendbar ist, die in engem Zusammenhang mit bestehender Bebauung stehen. Das soll eine Zersiedelung vermeiden.

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Nicht im Gesetz enthalten sind Investitionen in den Wohnungsbau oder sonstige fiskalische oder finanzielle Anreize, betont Scherz: „Der Bau-Turbo gehört zu einem Bündel geplanter Maßnahmen, um den Bau von Wohnungen in Deutschland zu verstärken. Mit dem Bau-Turbo wird an der Stellschraube ‚Dauer der Baugenehmigungsverfahren‘ gedreht und es sollen schnellere Verwaltungsabläufe ermöglicht werden. Dies ist im Grunde zu begrüßen, führt aber zunächst nicht direkt auch zu einer verstärkten Bautätigkeit. Es bleibt abzuwarten, ob es daneben gelingt, auch materiell die Standards beim Wohnungsbau zu entschlacken und angebotsseitig die Branche zu beleben.“
Ein weiterer Schritt in Richtung Belebung ist Scherz zufolge ebenfalls die Anfang November beschlossene Wiederaufnahme der Förderung von Wohnungsbau nach dem „EH 55“-Standard: „Die Vorgängerregierung hatte die Wohnungsbauförderung auf Neubauten mit dem Energiestandard ‚EH 40‘ beschränkt. Es wurden nur Wohnbauten gefördert, deren Energieverbrauch bei 40 Prozent eines Standardhauses liegt. Mit der Wiedereinführung der EH-55-Förderung, sprich einer Lockerung der Energieeffizienzanforderung, und der Freigabe einer Förderung von 800 Millionen Euro soll auch materiell ein Impuls für einen verstärkten Bau von Wohnungen gesetzt werden.“
Gemeinden am Zug
Wie effektiv konkret der Bau-Turbo in der Praxis sein wird, hängt wesentlich vom Agieren der Gemeinden und Kommunen ab. Werden sie von den Möglichkeiten, die der Gesetzgeber einräumt, tatsächlich Gebrauch machen? Wichtig sei laut dem Spitzenverband der Immobilienwirtschaft ZIA, dass sie die Gestaltungsspielräume nun nutzen und ihrerseits vor Ort dem Wohnungsbau den nötigen Schub verleihen. In diesem Zusammenhang braucht es nach Ansicht des ZIA auch die Möglichkeit des Nachsteuerns. „Der neue § 246e BauGB sieht keine verpflichtende Evaluierung vor. Damit fehlt ein zentrales Instrument, um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen und gezielt nachzusteuern“, betont Aygül Özkan, Hauptgeschäftsführerin des ZIA und ergänzt: „Ohne Evaluierung bleibt der Bau-Turbo bloß ein Versprechen. Wir brauchen aber auch einen Tacho, nicht nur das Gaspedal.“

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Geht es nach Thomas G. Winkler, CEO der UBM Development, so werde im Nachbarland „jedenfalls über die richtigen Dinge gesprochen“: „Tempo: Verkürzung der Genehmigungszeiten, die angesichts gestiegener Zinsen enorm viel kosten. Technologie: Serieller Bau, Holz-Hybrid für Hochhäuser, Module. Toleranz: Nicht jeder Einspruch eines Nachbarn ist berechtigt.“ Die Umsetzung zusammen mit der reaktivierten EH55 Förderung würde „definitiv den Wohnungsbau ankurbeln“, sagt Winkler, allerdings ergänzt: „Versäumnisse der Vergangenheit können aber nicht so schnell aufgeholt werden.“ Die UBM selbst hat in München, Mainz (Metropolregion Frankfurt) und Berlin aktuell über 800 Wohnungen in der Pipeline. Jedoch sind über 90 Prozent noch nicht begonnen, weil die Vorverwertungsquote für eine Finanzierung noch nicht erreicht ist oder Einsprüche beziehungsweise nicht vorliegende Genehmigungen den Start verzögern.
Strukturelle Reformen gefragt
Geht es nach dem ZIA, braucht es neben dem „Bau-Turbo“ weitere Maßnahmen, damit der Wohnungsbau die dringend benötigte Dynamik entwickelt. Eine davon ist laut ZIA zügige Rechtssicherheit für den Gebäudetyp E zur Ermöglichung von kostengünstigem, effizientem und flexiblem Bauen: Nicht zwingende Komfortstandards wie erhöhter Schallschutz, aufwendige Ausstattung oder Keller sollen entfallen, natürlich ohne Einbußen bei der Sicherheit. Gleichzeit fordert der ZIA zusätzlich zum „Bau-Turbo“ den Reformkurs mit der geplanten großen Novelle des Baugesetzbuchs fortzusetzen, um moderne, schlanke Regeln für schnelleres und zeitgemäßes Bauen zu schaffen. Das Planungsrecht in seiner jetzigen Form ist laut Özkan nicht mehr zeitgemäß.
In die gleiche Kerbe schlägt Winkler: „1990 gab es 5.000 Bauvorschriften, heute gibt es 20.000. Gebäudetyp E oder die weiterführenden Überlegungen des ‚Hamburger Modells‘ ergeben zumindest theoretisch Einsparungen bis zu 33 Prozent. Die Kluft zwischen Neubauten und den Standards im Bestand wird immer größer und keiner kann sie mehr bezahlen.“ Wird angesichts der vielfältigen Herausforderungen der Bau-Turbo die erhoffte rasche Beschleunigung im Wohnungsbau bringen? Es wird sich zeigen.



