Wiener G’schichten

08.03.2013

 
In der Bundeshauptstadt wird der Wohnraum knapp. Experten fordern eine flexiblere Flächen­widmung, mehr Investitionsanreize und Vereinfachungen in der Bauordnung.

Text: Claudia Aigner

Die nüchternen Zahlen, die die Statistik Austria kürzlich veröffentlichte, bergen Zündstoff. Sie besagen, dass Wien das stärkste Bevölkerungswachstum aller neun Bundesländer aufweist. Lebten 2011 noch 1,72 Millionen Personen in der Donaumetropole, so wird in der ersten Hälfte der 2030er-Jahre voraussichtlich die Zwei-Millionen-Hürde fallen. Angesichts der Frage, ob es für die Wienerinnen und Wiener in der nahen Zukunft ausreichend adäquaten Wohnraum gibt, werden die Kassandrarufe immer lauter. 

So hält der von Buwog und EHL Immobilien herausgegebene „1. Wiener Wohnungsmarktbericht“ fest, dass in der Stadt seit mehreren Jahren deutlich weniger Wohnungen gebaut als zusätzliche Einheiten nachgefragt werden. Daran wird sich in nächster Zeit nichts ändern. Im Gegenteil: Die Angebotslücke wird tendenziell sogar weiter wachsen. Die durchschnittliche Jahresproduktion wird bis 2015 rund 10.000 Einheiten betragen. Das ist wesentlich weniger, als die Nettonachfrage nach zusätzlichen Wohnungen ausmacht.

Strittiger geförderter Bereich
Bei der Präsentation des Marktberichts zeigte sich Buwog-Geschäftsführer Gerhard Schuster entsprechend skeptisch: „Wir haben ein strukturelles Problem, das zwar durch die jeweilige Wirtschaftssituation einmal verschärft und dann wieder gemildert wird, aber das ohne eine deutliche Änderung der Rahmenbedingungen für den Wiener Wohnbau nicht nachhaltig gelöst werden kann. Alle demografischen Daten und alle Kennzahlen aus dem Wohnbau lassen erwarten, dass die Situation eher noch schwieriger werden wird.“ Der Rückgang im geförderten Bereich verschärft die Dramatik. Schuster rechnet damit, dass die Fertigstellungen geförderter Wohnungen merkbar unter den durchschnittlichen Zielgrößen der vergangenen Jahre von rund 6.000 Einheiten bleiben werden. Eine Zahl, die der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig nicht teilt. Er betont, dass die Neubauleistung in diesem Bereich sehr wohl bei 6.000 Wohnungen per anno liegt. Dank dieses Werts, an dem die Stadtregierung auch in Zukunft festhält, belege Wien beim geförderten Wohnbau die Poleposition in Europa.

Auch bei der Sanierungsförderung muss Ludwig Kritik einstecken. Der Wohnbaustadtrat betont: „Geförderte Wohnhaussanierungen stellen eine der zentralen Säulen der Wiener Wohnbaupolitik dar. Sie leisten – neben dem Neubau – einen entscheidenden Beitrag zur hohen Wohn- und Lebensqualität bei gleichzeitig stabilen und erschwinglichen Mieten.“ Laut Hans Jörg Ulreich, Berufsgruppensprecher der österreichischen Bauträger, fördert die Stadt derzeit jedoch gerade einmal 30 der rund 30.000 sanierungswürdigen Mietshäuser. Mit den vorhandenen Finanzen würden fast ausschließlich Wiener Wohnen und Wohnbaugenossenschaften bedient. Für die Privaten blieben kaum Mittel übrig. 

Darüber hinaus werden Ansuchen Privater lediglich weiterbearbeitet, wenn sie auf einen Teil der Förderungen verzichten. Durch Annuitätenzuschüsse geförderte Bankkredite sind ihnen verwehrt, weil das internationale Zinsniveau extrem niedrig ist und das Gesetz nur einen maximalen Förderzinssatz von „Euribor +1%“ erlaubt. Da der Euribor bei einem historischen Tief von 0,37 Prozent hielt, würden nur Darlehen mit einem Maximalzinssatz von 1,37 Prozent gefördert. Ein Wert, der unter den Fixkosten der Banken liegt, wie Ulreich bemängelte.

„Euribor +2%“ wird begrüßt
In diesen Punkt kam kürzlich eine Dynamik, die Michael Pisecky, Obmann der Fachgruppe Wien der Vermögens- und Immobilientreuhänder, abwartend positiv beurteilt: „Ob die von Stadtrat Ludwig angekündigte Erhöhung auf ‚Euribor +2%‘ und die einmalige Aufstockung des Fördervolumens um 80 Millionen Euro den gewünschten Erfolg eines privaten Investitionsschubs bringen wird, hängt auch von den Banken und den Details der neuen Verordnung ab.“

Dass auch die Wohnungssuchenden das Finanzielle im Fokus haben, liegt auf der Hand. Grund zum Jubeln haben sie diesbezüglich keinen. Denn gemäß dem „1. Wiener Wohnungsmarktbericht“ entwickeln sich die Preise in den kommenden Jahren weiterhin nach oben. Die höchsten Wachstumsraten wird dabei das mittlere Segment, also Wohnungen mit Quadratmeterpreisen von aktuell 3.000 bis 5.500 Euro, verzeichnen. Diese befinden sich typischerweise in zentrumsnahen Bezirken innerhalb des Gürtels oder in guten peripheren Wohnlagen mit passender Infrastruktur. „In diesen Lagen ist das Angebot begrenzt, die dafür infrage kommende Käuferschicht finanziert großteils mit Eigenkapital“, erklärt Michael Ehlmaier, geschäftsführender Gesellschafter von EHL Immobilien.

Moderater Mietpreisanstieg 
Generell deutlich geringere Steigerungen erwartet Ehlmaier im Mietsegment. Denn bei 75 Prozent der Objekte – Altbau, geförderter Wohnbau, Gemeindewohnungen – seien die Mieten limitiert, was die Märkte mit freier Mietzinsbildung beeinflusse. „Nettomieten von elf bis 13 Euro pro m2 werden im Qualitätssegment ohne weiteres akzeptiert. Ab 15 Euro wird es aber sehr eng. Über dieser Schwelle liegende Mieten werden in den kommenden Jahren nur bei außergewöhnlicher Lage und Ausstattung erzielbar bleiben“, so Ehlmaier. 

Was die Lage betrifft, so stehen sowohl im Eigentums- als auch im Mietsegment neben den Bezirken innerhalb des Gürtels der 13., der 18. sowie der 19. auf der Wunschliste der Suchenden ganz oben. Kurz- und mittelfristig wächst auch die Nachfrage nach dem 21. und dem 22. Bezirk.

In der Donaustadt befindet sich mit der Seestadt Aspern das derzeit größte der zahlreichen Stadtentwicklungs-gebiete Wiens.
Auf einer Grundfläche von rund 2,4 Mio. m2 sprießen unter anderem 8.500 Wohneinheiten für 20.000 Menschen aus dem Boden. Rudolf Giffinger vom Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung an der TU Wien bewertet das Projekt positiv: „Die Seestadt Aspern wird als Wohnstandort genutzt werden. Da habe ich keinerlei Bedenken. 

Es hängt jedoch von der Preis- und Angebotsvielfalt ab, welche Personen dort hinziehen, wobei ich auf eine soziale Durchmischung hoffe. Entscheidend wird sein, ob sich die Bewohner mit dem neuen Stadtteil identifizieren. Falls nicht, besteht die Gefahr, dass das Areal zu einer anonymen Vorstadt wird.“

Appell der Experten an die Stadtpolitik
Zu den wiederum innerstädtisch sensiblen Themen Aufstockung und Dachgeschoßausbau bemerkt Giffinger, dass zweifelsohne ein Trend zur Verdichtung besteht. Diese stadtplanerisch sinnvollen Maßnahmen führen zu Aufwertungsprozessen, die mit dem Risiko der Gentrifizierung einhergehen. Generell plädiert Giffinger dafür, Wien in puncto Wohnbaupolitik nicht als Insel zu betrachten. Vor allem angesichts der zunehmenden Pendler- und Umweltproblematik müsse man über die Stadtgrenzen hinausdenken und planen.

Als dringenden Appell an die Politik interpretiert Gerhard Schuster, Geschäftsführer der Buwog, auch die Erkenntnisse des „1. Wiener Wohnungsmarktberichts“: „Wir brauchen mehr Wohnbauförderung, neue Möglichkeiten der Fremdmittel- und Eigenkapitalaufbringung und auch punktuell weniger Bauvorschriften. Derzeit leben wir mit einer ganzen Reihe von Bestimmungen, die zwar wenig zur Sicherung der Wohnqualität beitragen, aber ordentlich ins Geld gehen und Wohnen unnötig verteuern.“