Covid-19: Gewerbliche Mieter nur ­eingeschränkt zur Zinsminderung berechtigt

Covid-19
22.04.2020

 
Wie verhält es sich mit dem Zinsminderungsrecht in Zeiten von Covid-19? Rechtsanwalt Dr. Martin Foerster weiß mehr. 
Dr. Martin Foerster ist Partner bei Graf & Pitkowitz Rechtsanwälte GmbH in Wien

Mit den als Maßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 ausgesprochenen Betriebssperren1 hat die Bundesregierung gleichzeitig eine massive Beeinträchtigung des Gebrauchs von Mietgegenständen angeordnet. Anders als beispielsweise in Deutschland2 ergingen jedoch keine bestandrechtlichen Sonderregelungen. Die rechtlichen Konsequenzen sind daher anhand des ABGB zu klären.3 

Einschlägig sind wohl die §§ 1104 ff ABGB, die sich auf den „außerordentlichen Zufall“ beziehen.4 Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Verordnung nicht das Betreten bestimmter Räumlichkeiten per se verbietet; sie verbietet das Betreten nur von solchen Räumlichkeiten, die (sei es durch den Mieter oder den Vermieter) zum Kundenverkehr bestimmt sind.
Zur Beurteilung des Zinsminderungsrechts ist in einem ersten Schritt der konkrete Bestandvertrag zu analysieren: Anhand des Vertrages lässt sich klären, was der Bestandgeber überhaupt schuldet. Bei einem reinen Mietvertrag ist das in erster Linie die Zurverfügungstellung von Räumen, allenfalls auch von Inventar. Nur wenn es aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht möglich ist, das Bestandobjekt zu irgendeinem Zweck zu nutzen, kommt es zur Mietzinsminderung. Anderes gilt, wenn die Nutzung im Mietvertrag eingeschränkt (oder ausdrücklich zugesagt) ist: Dürfen die Räumlichkeiten (die ja „neutral“ sind in dem Sinn, dass sie zu allen Zwecken verwendet werden können) beispielsweise nur zum Betrieb eines Schuhgeschäfts verwendet werden, so sind dem Mieter die Hände gebunden: Der Betrieb eines Schuhgeschäfts ist wegen der genannten Verordnung verboten; alle anderen Zwecke sind im Mietvertrag verboten. 

Unternehmenspachtverträge

Anderes gilt allerdings für Unternehmenspachtverträge. Hier schuldet der Bestandgeber nicht nur die Zurverfügungstellung von „nackten“ Räumlichkeiten, sondern eines lebenden Unternehmens. Ist der Betrieb dieses Unternehmens verboten, so kann er „die in Bestand genommene Sache“ (also das Unternehmen) nicht gebrauchen. Die Auslegung der Bestandverträge in dem Sinn, was also der „bedungene“ Gebrauch ist, wird die Gerichte in den nächsten Monaten und Jahren wohl noch intensiv beschäftigen. Auch auf die Abgrenzung von Miete und Pacht kommt nun eine erneute Brisanz zu.

Gänzliche oder teilweise Einschränkung des Gebrauchs?

In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob der bedungene Gebrauch von der Betriebssperre betroffen ist und, gegebenenfalls, ob er bloß eingeschränkt oder gänzlich untersagt ist. Denn das Gesetz knüpft daran höchst unterschiedliche Rechtsfolgen.

Bestimmte Bereiche, wie beispielsweise produzierendes Gewerbe oder Büros (ohne Kundenverkehr), erleiden möglicherweise aufgrund der Ausgangsbeschränkungen5 Umsatzverluste; dies ist aber nicht auf eine Unbrauchbarkeit des Bestandobjekts, sondern auf die allgemeine Lage zurückzuführen und berechtigt per se nicht zur Mietzinsminderung.6,7 Ebenso wenig entfällt die Mietzinszahlung, wenn der Betrieb schließen muss, weil Mitarbeiter erkrankt sind oder aus Furcht vor Ansteckung zu Hause bleiben: Dies sind Umstände, die der Sphäre des Bestandnehmers zuzurechnen sind.

Ergibt die Vertragsauslegung hingegen, dass das Objekt nur zu einem solchen Zweck angemietet wurde, der unter das Verbot fällt (z. B. Betrieb eines Restaurants), so entfällt der Mietzins gemäß § 1104 ABGB.

Teilweise Einschränkung

In vielen Fällen wird die Nutzung aber nur teilweise eingeschränkt sein. Zum Beispiel darf ein Fahrradhändler Fahrräder zwar nicht mehr verkaufen, sehr wohl aber reparieren. Ebenso ist das Betreten von Gaststätten zwar verboten; Lieferdienste bleiben zulässig.10 Auch die Verwendung des mit dem Geschäftslokal mitgemieteten Lagers oder der Büroflächen ist durch die Verordnung nicht verboten. Kann das Objekt zu einem weiterhin erlaubten Zweck verwendet werden, so ist die Nutzung allenfalls eingeschränkt.

Unterscheidung Miete und Pacht

Hier kommt wieder die Unterscheidung zwischen Miete und Pacht ins Spiel: Bei Mietverträgen sieht § 1105 ABGB – analog der Regelung in § 1096 ABGB – eine anteilige Reduktion des Mietzinses vor. Wie groß dieser Anteil ist, kann durch Sachverständige für Immobilien bewertet werden. 

Hingegen ist bei Pachtverträgen nur eine sehr eingeschränkte Reduktion des Pachtzinses möglich: Bei Verträgen mit einer Dauer von mehr als einem Jahr steht dem Pächter gar kein Minderungsrecht zu.11 Bei kürzeren Pachtverträgen kommt es zu einer Art laesio enormis-Regelung: Nur dann, wenn der Ertrag um mehr als die Hälfte reduziert wird, steht ein Minderungsrecht zu, für dessen Berechnung das Gesetz eigene Regeln aufstellt.

Die Frage der Betriebskosten

Nicht eindeutig ist, ob ein allfälliges Zinsminderungsrecht neben dem Miet- bzw Pachtzins auch die Betriebskosten umfasst. Die Rechtsprechung zu § 1096 ABGB, wonach die Betriebskosten Teil des Mietzinses sind und somit deren rechtliches Schicksal teilen, ist wohl auch auf die Zinsminderung nach § 1104 ABGB anwendbar.12 Allerdings wurde diese – eher pauschale – Ansicht von der Lehre zu Recht heftig kritisiert. Es bleibt abzuwarten, ob der OGH die Kritik der Lehre aufgreift.

Mietzinsminderung muss geltend gemacht werden

Eine Besonderheit gilt hier für Pachtverträge: Der Pächter muss den Eintritt des Schadens unverzüglich anzeigen;ohne eine solche Anzeige verliert der Pächter seinen Zinsminderungsanspruch.15 Das entspricht der jüngeren Rspr zum Mietzinsminderungsrecht gemäß § 1096 ABGB.16 

Abweichende vertragliche Regelungen möglich

Das Minderungsrecht der §§ 1104 f ABGB ist dispositiv; abweichende vertragliche Regelungen sind daher zulässig. Dazu stellt das Gesetz eine eigene Auslegungsregel auf: „Allgemeine“ Vertragsklauseln, wonach der Bestandnehmer unbestimmt „alle Gefahren“ auf sich nimmt, sollen sich nur auf das Risiko von Feuer, Wasser und Wetterschlägen beziehen. Denn typischerweise würden die Vertragsparteien nur an diese Gefahren denken.19 Diese historische Ansicht spiegelt wohl nicht mehr die Realitäten des 21. Jahrhunderts wider. Derartige Ausschlussklauseln sind daher meines Erachtens nach den allgemeinen Regeln zur Vertragsauslegung zu beurteilen.20 Dabei wird auch zu ermitteln sein, was redliche Parteien bei voller Kenntnis der Sachlage, insbesondere unter Berücksichtigung allfälliger Entschädigungszahlungen seitens der Bundesregierung, vereinbart hätten. Auch bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit derartiger Bestimmungen (§ 879 ABGB) wird der Umstand, dass eine Partei von dritter Seite Ersatz bekommt, zu berücksichtigen sein.

Text: Dr. Martin Foerster